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Die Philosophie Immanuel Kants

 

Kein Datum der neueren Philosophiegeschichte ist so einschneidend gewesen wie das Jahr 1781, in dem Kants "Kritik der reinen Vernunft" erschien. Kant ließ noch zwei weitere "Kritiken" folgen: die "Kritik der praktischen Vernunft" und die "Kritik der Urteilskraft". Die  "Kritik der reinen Vernunft" ist der Metaphysik bzw. der Erkenntnistheorie gewidmet, die  "Kritik der praktischen Vernunft" der Ethik und die  "Kritik der Urteilskraft" der Ästhetik.

 

Warum ist Kants Philosophie, die auch "Kritische Philosophie" genannt wird, so bedeutend? Viele Menschen sehen in ihm und Aristoteles die wichtigsten Philosophen überhaupt. Was ist so wichtig an seiner Philosophie? Kant, das muß gesagt werden, ist keineswegs ein leicht lesbarer Autor, im Gegenteil! Sein Stil ist schnörkelig, die Sätze sind lang, der Tonfall trocken und behäbig; nur selten schreibt Kant witzig und humorvoll. Trotzdem wird Kant weltweit gelesen, eifrig studiert und immer wieder neu interpretiert. Es gibt allerdings hervorragend lesbare Ausnahmen in seinem Werk; dazu gehören die Aufsätze "Zum ewigen Frieden" und "Was ist Aufklärung" sowie die Vorrede der "Kritik der reinen Vernunft".

 

Für die herausragende Bedeutung Kants sehe ich drei Gründe: 1. philosophiehistorisch seine Synthese von Rationalismus und Empirismus; 2. inhaltlich seine Wende zum Subjekt; 3. wissenschaftstheoretisch seine Garantie für Objektivität und Wissenschaftlichkeit.

 

In unserer philosophischen Runde haben wir eine Reihe rationalistischer Philosophen (Descartes, Spinoza, Leibniz) und eine Reihe empiristischer Philosophen (Locke, Berkeley, Hume) kennengelernt. Die philosophiehistorische Bedeutung Kants besteht darin, daß er sowohl den Empirismus als auch den Rationalismus zurückweist, von beiden Richtungen wesentliche Elemente beibehält und so eine neue philosophische Schule begründet, den Kritizismus.

 

Kant weist den Anspruch des Rationalismus zurück, durch bloßes Denken Wirklichkeit erkennen zu wollen! Und gegen den Empirismus, der die Erfahrung als Quelle aller Erkenntnis versteht, macht er geltend, daß es auch erfahrungsfreie Grundlagen der Erkenntnis gibt (mit anderen Worten: daß Metaphysik möglich ist). Kants Philosophie vermittelt Einsichten beider Seiten und versucht deren Fehler zu vermeiden. Weder die Sinnlichkeit (als Werkzeug der Erfahrung) noch der Verstand (als Werkzeug der Ratio) allein führen zur Erkenntnis, beide Erkenntnisvermögen sind erforderlich. - Mit Kant waren Empirismus und Rationalismus als philosophische Schulen erledigt.

 

Eine besondere und die eigentlich charakteristische Note - und ich komme zum zweiten Punkt, der Wende zum Subjektiven bei Kant - erhält seine Philosophie dadurch, daß er  Erkenntnis nicht mehr als etwas versteht, wodurch der Geist einen Stempeleindruck durch die Natur erfährt, sondern - ganz im Gegenteil - Erkenntnis ist für Kant etwas, das unweigerlich unsere eigene Stempelmarke trägt. Wir (wir Menschen) sind es, die die Vernunft in die Welt erst hineintragen. Wir sind es, die moralisch handeln können; Moral ist nicht vorgeben. Wir sind es, die etwas als "schön" erkennen und bezeichnen.

 

Es gibt bei Kant keine perspektivenlose Wirklichkeit, jede Wahrnehmung von Wirklichkeit ist durch das Subjekt gefärbt. Wir erkennen nur, was wir selbst in die Dinge hineingelegt haben. Diese diametrale Umkehrung des philosophischen Blickwinkels nennt Kant seine von ihm herbeigeführte "kopernikanische Wende" in der Erkenntnistheorie.

 

"Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenstanden richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert wurde, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, das wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstande, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiemit eben so, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe lies." I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. KrV Vorr. B XVI Reclam-Ausg. 1966, S. 28

 

Wenn sich alle Erkenntnis nach dem erkennenden Subjekt richten muß, dann liegt es nahe mit einem kategorischen "Alles ist subjektiv! jegliche Objektivität und damit die Möglichkeit von Wissenschaft überhaupt zu bestreiten. Der umstrittene Skeptizismus des schottischen Empiristen David Hume schien genau in diese Richtung zu deuten. Kant wies hier einen Ausweg. Die Erkenntnis ist zwar im Subjekt situiert, aber die Mechanismen, die zur Erkenntnis führen, lassen sich objektivieren, und damit bleibt auch die Möglichkeit einer objektiven Wissenschaftlichkeit erhalten.  Kant wies damit den empirischen Einzelwissenschaften den Weg, die auf die gewiesene Weise im 19. Jahrhundert einen ungeahnten Aufschwung nehmen sollten.