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Über Ludwig Feuerbach und Max Stirner

 

Ludwig Feuerbach und Max Stirner gehören mit ihren Hauptwerken, “Das Wesen des Christentums” (1841) und “Der Einzige und sein Eigentum” (1845), in eine Zeit politischer und sozialer Umbrüche. Nach dem Regierungsantritt von Preussens König Friedrich Wilhelm IV. hatte sich der politische Druck gegenüber dissidenten Autoren erhöht und die Zensur war immens verschärft worden. Die explosive Entladung all dieser Mißstände im Land sollte nur wenige Jahre später folgen.

 

Die Hauptwerke Feuerbachs und Stirners stellen allerdings auch selbst als geistesgeschichtliche Ereignisse Umbrüche dar und sind für sich schon Symbole der Zeitenwende, denn beide Bücher sind in ihrer Art höchst radikal. Vor allem der philosophische Atheismus Feuerbachs hat die Zeitgenossen tief beeindruckt. Nicht nur sein theoretisch durchdachter Atheismus überzeugte, sondern auch, daß er der abstrakten Hegelschen Dialektik eine Philosophie der Sinnlichkeit entgegensetzte.

 

Friedrich Engels hat mit emphatischen Worten die Wirkung beschrieben, die “Das Wesen des Christentums” in der intellektuellen und akademischen Welt ein Jahrzehnt nach Hegels Tod hervorrief.

 

“Die Hegelsche Schule war aufgelöst, aber das Hegelsche System war nicht kritisch überwunden. Strauß und Bauer nahmen jeder eine ihrer Seiten heraus und kehrten sie polemisch gegen die andere. Feuerbach durchbrach das System und warf es einfach beiseite ... Man muß die befreiende Wirkung dieses Bruchs selbst erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Die Begeisterung war allgemein: Wir waren alle momentan Feuerbachianer.” Marx-Engels-Studienausgabe, Frankfurt/M. 1966 (Fischer-Verlag), Bd. I, S. 190f.

 

Der Atheismus Feuerbachs ist diffizil und keineswegs bloß ein simples Leugnen des Herrgotts. Sein Atheismus erreicht eine Ebene, unterhalb derer keine heutige Diskussion sich bewegen darf. Alfred Schmidt, S. 7 Feuerbach selbst betonte das qualitativ Neue, Unverwechselbare der von ihm durchgesetzten Problematik:

 

“Wer von mir nichts weiter sagt und weiß als: Ich bin ein Atheist, der sagt und weiß soviel von mir wie nichts. Die Frage, ob ein Gott ist oder nicht ist, der Gegensatz von Theismus und Atheismus, gehört dem achtzehnten und siebzehnten, aber nicht mehr dem neunzehnten Jahrhundert an. Ich negiere Gott, das heißt bei mir: Ich negiere die Negation des Menschen, ich setze an die Stelle der illusorischen, phantastischen, himmlischen Position des Menschen, welche im wirklichen Leben notwendig zur Negation des Menschen wird, die sinnliche, wirkliche, folglich notwendig auch politische und soziale Position des Menschen. Die Frage nach dem Sein und Nichtsein Gottes ist eben bei mir nur die Frage nach dem Sein oder Nichtsein des Menschen.” Vorwort zu Bd. I, Sämtliche Werke: Gesammelte Werke, Bd. 10, hgg. v. W. Schuffenhauer, Berlin 1971, S. 189

 

Feuerbachs Atheismus wird heutzutage kaum noch jemanden vom Hocker reißen; Theologen, wie etwa Karl Barth, versuchen sogar, ihn für die protestantische Theologie zu vereinnahmen. Dagegen klingen Max Stirners Thesen zum radikalen Egoismus auch heute noch so harsch und provokant, daß sie nur selten nicht Empörung verursachen.

 

Das Provokante an Stirners Buch ist nicht nur der schrankenlose Egoismus, den es vertritt, nicht nur, daß er Staat und Religion eine generelle Absage erteilt, sondern daß er jede nur denkbare Philosophie verwirft. Mehr noch als Feuerbach kann Stirner von sich sagen: “Meine Religion ist keine Religion. Meine Philosophie ist keine Philosophie”. L. Feuerbach, Fragmente zur Charakteristik meines philosophischen Entwicklungsgangs, Stuttgart 1904, 391.

 

Gelegentlich wurde Stirners Werk das “gefährlichste Buch aller Zeiten” (J. H. MacKay, Max Stirner – sein Leben und sein Werk. Berlin 1898, S.118) genannt, - oder muß man sagen: gerühmt!? Es hat vielleicht niemals einen Denker gegeben, der sich so systematisch mit allen Richtungen der Geistesgeschichte entzweite und sich so entschieden zwischen alle Stühle setzte wie dieser nihilistische Unphilosoph, selbst Nietzsche nicht.

 

Der Preis dafür ist hoch; Stirner wurde allgemein und in breiter Übereinstimmung von der Philosophengemeinde ignoriert, verdrängt und totgeschwiegen. Vielen gelten Stirners Thesen ärgerlicherweise zwar als unwiderlegbar, aber eben doch auch als irgendwie trivial, jedenfalls unakzeptabel. Dabei wird allgemein angenommen, Stirners Buch sei das Produkt eines Sonderlings oder eines Querulanten und müsse daher nicht ernst genommen werden.

 

Diese Behauptung darf allerdings sehr wohl in Frage gestellt werden. Möglicherweise ist “Der Einzige und sein Eigentum” ein Werk, das bis heute in seinem Kerngehalt noch niemals wirklich rezipiert worden ist. B. Laska, Ein dauerhafter Dissident. Wirkungsgeschichte von Stirners „Einzigem“. Nürnberg: LSR-Verlag 1996, S. 117