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Pierre Bayle und Anthony Cooper 3. Graf Shaftesbury

 

 

Bei Pierre Bayle und Anthony Shaftesbury handelt es sich um Philosophen, die beide besonders wirkmächtig waren und deren Bedeutung nur an den größten Namen in der Geistesgeschichte zu ermessen ist. Beide standen in dem Ruf, Irreligiöse, Libertins, Skeptiker, kurz Atheisten zu sein. Diese Mißbilligung bei den Zeitgenossen und auch später rührte daher, daß beide Moral und Religion strikt voneinander trennten.

 

Leitend für diese Differenzierung war die Einsicht, daß ein religiös denkender Mensch keineswegs ein moralischer Mensch sein muß. Die Geschichte lehrt vielmehr, daß gerade religiöser Fanatismus zu den schlimmsten Verbrechen veranlassen kann. Bayles tragische Biographie liefert starke Lehrstücke zu dieser Einsicht.

 

Wenn Pierre Bayle heute nahezu vergessen ist, dann deshalb, weil er keine eigene Philosophie entwickelt hat. Mit seinem Namen verbinden sich nicht bestimmte philosophische Lehrauffassungen. Bayle war ein Anreger, ein Multiplikator von Ideen, ja, er darf sogar als Motor der frühen Aufklärung bezeichnet werden. Bayle war in erster Linie Kritiker! Kritik heißt, Widersprüche aufzuspüren. Kritik wird bei Bayle zur eigentlichen Tätigkeit der Vernunft. Kritik ist die Kunst durch vernünftiges Denken angebliche Erkenntnisse zu korrigieren, Ergebnisse zu verbessern. Das Aufspüren von Widersprüchen läßt auch wohl hoffen, irgendwann eine widerspruchslose Wahrheit finden zu können. Vgl. Reinhart Koselleck, Kritik und Krise, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973, bes. 89-101, bes. 89ff.

 

Aber hier genau ist Bayle Skeptiker; diese Hoffnung hält er für aussichtslos. Er trennt Vernunft und Religion, um die Moral von der Religion unterscheiden zu können, aber er glaubt nicht an die Herrschaft der Vernunft. Letztlich ist er ein Gegner des Intellektualismus.

 

Bayle galt gerade im 19. Jahrhundert als Vorbereiter der Aufklärung, als ein verkappter Atheist, der die Wahrheiten der Offenbarungsreligion um ihren Kredit bringen wollte. Vgl. Rolf Geissler, Tendenzen und Probleme der neueren Forschung zu Pierre Bayle, in: Beiträge zur romanischen Philologie, VII. Jg., 1968, 229-251, 236  In den neuesten Darstellungen wird Bayle allerdings oft als gläubiger Christ und als überzeugter Protestant wahrgenommen. Diese unterschiedlichen Beurteilungen lassen zu Recht darauf schließen, daß es nicht leicht ist, die Motive, die grundsätzlichen Ziele, die persönlichen Beweggründe des Autors Pierre Bayle offenzulegen. Schon zu seiner Sicherheit war Bayle gezwungen, seine wahren Ansichten zu umnebeln und zu verheimlichen.

 

Im Gegensatz zu Bayle vertrat Shaftesbury sehr wohl eine eigene positive Philosophie, nämlich seine Philosophie des Enthusiasmus: Im Grunde handelt es sich bei dieser Philosophie um einen begeisterten und fröhlichen Gesang gerichtet an das Universum im Ganzen, in dem jedes Einzelne seinen Ort, seine Bestimmung und seine Heimat habe. Auch Shaftesbury sondert die Moral von der Religion. Nicht die Religion, sondern eine angeborene Idee vermittelt dem Menschen den Sinn für das Moralische. Diese Philosophie des “moral sense” war gerade in England äußerst einflußreich.

 

Auch Shaftesbury galt als Atheist; tatsächlich war er derjenige, der den Deismus begründete und auf die Bahn brachte. Deismus wird meistens mit Rationalismus verknüpft. Shaftesbury dagegen, auch hier wieder eine Gemeinsamkeit mit Bayle, glaubte nicht daran, daß die Vernunft fähig sei, letzte Erkenntnis zu erringen. Wie bei Wittgenstein dient die Vernunft bei Shaftesbury nur als Leiter, nämlich als Aufstieg zu der enthusiastischen Weltsicht, dem begeisterten Blick auf das Ganze der Natur.