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Die Frühsozialisten Claude Henri de Saint-Simon und Charles Fourier

 

 

Claude Henri, Graf von Saint-Simon und Charles Fourier sind zwei bürgerliche Frühsozialisten (weitere Frühsozialisten waren: Proudhon, Robert Owen, Etienne Cabet, Wilhelm Weitling oder Babeuf), und zwar diejenigen mit den interessantesten und folgenreichsten Ideen. Bürgerlich dürfen sie genannt werden, weil sie weder gesellschaftliche Unterschiede noch den Reichtum abschaffen wollten, weil sie weder eine Revolution noch den Klassenkampf anstrebten. Unter ihren Gefolgsleuten befanden sich kaum Arbeiter und beide Autoren verstanden nicht vorrangig als Wahrer der Interessen der Arbeiterschaft.

 

Die „Frühsozialisten“ heißen so, weil sie vor Marx und Engels publizierten. Sie werden häufig auch als sozialistische Utopisten bezeichnet; diese diskreditierende Kategorisierung ist typisch marxistisch, denn im marxistischen Selbstverständnis ist nur die eigene Lehre wissenschaftlich fundiert und daher auch realistisch, während die der Frühsozialisten in vielen Hinsichten als unangemessen und realitätsfern galt. Trotzdem haben Marx und Engels Saint-Simon und Fourier überwiegend positiv rezipiert, denn die Frühsozialisten wurden als wichtige Impulsgeber und Anreger der sozialistischen Bewegung angesehen.

 

Saint-Simons Ideen eignen sich nicht für eine Arbeiterpartei, seine Ideen taugen scheinbar eher für eine Unternehmerpartei. Sein gesellschaftspolitisches Ziel ist es, mit den Mitteln von Wissenschaft, Technik und Kunst die Industrie einer Gesellschaft auf den höchstmöglichen Entwicklungsstand zu bringen. Alle sozialen Probleme lassen sich im Zuge einer solchen Entwicklung dann sozusagen nebenbei erledigen! Saint-Simon ist historisch der Idee des Fortschritts verpflichtet und in der Wissenschaft dem Positivismus. Noch vor Auguste Comte, dem eigentlichen Begründer des Positivismus, dessen Lehrer er war, bringt er in seinen Theorien positivistische Ideen zur Anwendung. Positives Denken ist den Sinneswahrnehmungen verpflichtet. Es gilt nur das, was sich unmittelbar sinnlich wahrnehmen läßt. Insofern war Saint-Simon Materialist.

 

Ganz andere Konzepte und Ziele vertrat Charles Fourier. Nicht die Ökonomie bildet den wichtigsten Bereich menschlicher Angelegenheiten, viel wichtiger ist der Gefühlshaushalt des Menschen, seine Triebe, Neigungen und Dispositionen. Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit in einer Gesellschaft wird bei Fourier entlang seinen Vorstellungen von Triebbefriedigung gestaltet. Nicht der Profit und zu erwirtschaftende Reichtümer bilden das gesellschaftliche Ziel, sondern ein Leben in Harmonie und zwar Harmonie sowohl bei Einklang des Einzelnen mit sich selbst als auch bei Einklang des Einzelnen mit der Gesellschaft. Fourier ist der erste Vertreter der sog. „sexuellen Revolution“, lange vor Sigmund Freud, Wilhelm Reich oder Herbert Marcuse.

 

Zugleich gehören die Annahmen Fouriers zu den meistverspotteten Theoriegebilden in der Philosophiegeschichte. Vielen Lesern bleibt nur in Erinnerung, daß nach Fourier das Meerwasser sich eines Tages in limonadenartige Substanz verwandeln solle oder daß die Haie von Anti-Haien ersetzt würden, die sich als treue und unermüdliche Helfer der Menschheit hervortun. Doch sowohl Saint-Simon als auch Fourier haben viele Vorstellungen vorweggenommen, die in ihrer Zeit völlig unglaubwürdig klangen. Ihre Ideen trugen dazu bei, daß sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Genossenschaftsbewegung in West-Europa verbreitete. Fourier war der erste Theoretiker, der ein allgemeines Mindesteinkommen forderte, das der Staat in Form eines Bürgergeldes seinen Bürgern schulde.

 

Saint-Simon und Fourier waren keine Philosophen im herkömmlichen Sinn, ihre Schreibart ist eher von journalistischer Art. Ihr Denken ist auf soziale und historische Veränderung, nicht auf Erkenntnis gerichtet. Die Französische Revolution hatte bewiesen, daß Gesellschaft veränderbar ist! Ihre Philosophie zielt auf Praxis, auf eine zu verändernde soziale Wirklichkeit. Diese Einstellung machte Schule und gab das Vorbild für zahlreiche Nachfolger, unter denen Marx und Engels die bekanntesten sind.