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Zur Gedankenwelt Schellings

 

Zur Einstimmung möchte ich über den Neujahrsabend 1800 berichten, den Schelling zusammen mit Goethe und Schiller in Weimar verbrachte. Ebenfalls anwesend war Schellings Schüler, ein Däne namens Henrik Steffens, der über jenen Abend Tagebuch-Aufzeichnungen hinterließ.

 

Die Gäste waren in Kostümen erschienen, aber die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich einer maskierten Dame zu, die alle Sprachen beherrschte, die die Teilnehmer kannten: deutsch, englisch, französisch, italienisch. Schelling sprach sie lateinisch an, sie erwiderte eine Frechheit: auf lateinisch. Steffens stellte eine Frage auf dänisch, und auch er bekam eine Antwort in dänischer Sprache, nicht ganz korrekt, aber gut verständlich. Alle verlangten nun, daß die Dame ihr Inkognito lüften sollte, aber plötzlich war sie verschwunden. Wer sie war, blieb bis heute unbekannt. Aber sie trug dazu bei, den Abend unvergesslich zu machen.

 

Nach Mitternacht zogen sich Goethe, Schiller und Schelling mit einigen Flaschen Champagner zurück. Schelling war gerade 25 Jahre alt, aber schon Professor; die beiden Weimarer Titanen zählten ein jeder ungefähr doppelt so viele Jahre (Schiller mit 45, Goethe mit 51 Jahre). Schiller war äußerst ernst und wollte den  beiden anderen unbedingt seine ästhetische Konzeption erläutern. Goethe dagegen scherzte ungezwungen, unterbrach den Freund wiederholt und hörte nicht sehr aufmerksam hin. Schelling schwieg!

 

Für ihn war dies eine Zeit des Umbruchs. Damals galt er noch als Anhänger der Philosophie Fichtes, aber der Gegensatz wurde immer deutlicher. Der Gegensatz bestand in der unterschiedlichen Einschätzung der Natur. Für Fichte lebte die Natur nach den Gesetzen des Geistes. Dagegen behauptete Schelling den Vorrang der Natur vor dem Geist. Das Zerwürfnis war schon absehbar, und es sollte auch dazu kommen.

 

Der Begriff der “Natur” war für Schelling von ständig wachsender Bedeutung; zuerst verstand er sie als Produkt des absoluten Ichs (noch ganz in der Art Fichtes); dann dachte er die existierende Natur selbst als hervorbringendes Subjekt. Für Fichte erschafft das Ich aus sich heraus das Alles, die Natur und die Welt, für den Schelling der Zeit um 1800 dagegen steht das Alles, die Natur, am Anfang und läßt das Ich aus sich hervorgehen.

 

Schelling sehnte sich nach einem eigenen philosophischen System, aber Schelling war eigentlich kein Systemphilosoph (wie z.B. Hegel, der in jedem Problemkreis immer seinen zentralen Gedanken wiedererkennen konnte), Schelling war eher Problemphilosoph, der sich ausgezeichnet in eine gewisse Denkaufgabe einzufinden vermochte.

 

Schiller mochte insbesondere Schellings Kunstphilosophie, aber hielt nichts von seiner Naturphilosophie. Goethe dagegen schätzte vor allem Schellings Naturphilosophie, ignorierte aber dessen Philosophie der Kunst. Die verschiedenen Teile seiner Philosophie zusammenzuführen in ein organisches Gefüge, das war wohl Neujahr 1800 der sehnlichste Wunsch Schellings, darauf arbeitete er hin, aber vergeblich.

 

Denn ein System, eine in ihren Teilen sich zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügende Philosophie, sollte Schelling nie entwickeln.  Schlimmer noch, immer wieder veränderte er die Grundannahmen seiner Metaphysik, veränderte nicht immer zum besseren, stumpfte vieles ab, verkomplizierte seine Gedankengänge und wurde immer weniger verstanden. Schelling wurde deshalb ein “Proteus” genannt, nach einer Sagengestalt, die sich unablässig in immer neue Gestalten verwandelt.

 

Wie über viele andere Literaten ist auch über Schelling zu sagen: Aus dem Revolutionär wurde ein Naturschwärmer und aus diesem ein Bekenner der christlichen Religion. Zuerst hieß es "Zurück zur Antike!", dann "Zurück zur Natur!", endlich "Zurück zu Gott!"

 

In schon vorgerücktem Alter galt er wegen seiner mystisch-christlichen Gedankenfärbung als restaurativ-reaktionärer Philosoph. Und der König von Preußen berief ihn nach Berlin, damit Schelling die Hegelsche "Drachensaat", gemeint war der Linkshegelianismus, bekämpfte. Aber Schelling enttäuschte den König, er enttäuschte auch die Linkshegelianer, denn er war weder ein Anti-Hegel noch ein zweiter Hegel, er war eben - Schelling!