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Zum Gelehrten - und dem Philosophenbart



A) Griechische Antike

“Seiner Haarpracht beraubt, wird - wie die Bibel berichtet - aus dem bärenstarken Samson ein Schwächling. Manch anderen Helden der Sage erging es ähnlich. Doch auch die Barthaare sind ein Gegenstand nicht allein der Kulturgeschichte, ihre Bedeutung reicht bis hinein in die Religion. ‘Beim Barte des Propheten’ ist ein Schwur, den beileibe nicht nur Muslime kennen. Und bis heute gibt es jene, die allzeit bereit sind, einen Streit um des Kaisers Bart auszufechten - einen vergeblichen Zwist, denn den Kaiser in seiner Macht und seinem Glanz berührt er gar nicht. Können wir uns Homer ohne Bart vorstellen? Oder Perikles und Platon? Es war eine Sensation, als die antiken Bildhauer einen Kopf zu meißeln hatten, der jeglichen Bartwuchses entbehrte: den Alexanders des Großen.” Wolfgang Günter Lerch, Warum tragen Taliban Bärte? In: FAZ 22.11.2001, Nr. 272, S. 12

“Seit etwa 300 v.Chr. trägt der Mann der vita activa keinen Bart mehr, von vereinzelten und kurzfristigen Ausnahmen abgesehen, während die Philosophen, Grammatiker usw. immer am Bart festhalten.” Der kleine Pauly, Stuttgart 1964-75, Artikel “Bart”.

Diogenes pflegte die Glattrasierten zu fragen, ob sie Männer oder Weiber seien. Daniel McNeill, Das Gesicht. Eine Kulturgeschichte, Wien: Kremayr & Scheriau 2001 (zuerst Boston, New York 1998), S. 105.

Gemäß dem kynischen Bild vom Philosophen haben die Haare ungepflegt und struppig zu sein, der Vollbart ist obligatorisch. In der alten Stoa galt der Bart als Zeichen männlicher Schönheit, nur scheinbar ist der Bart etwas Unnützes.

Der Bart das gottgewollte äußere Unterscheidungsmerkmal der Geschlechter bei Epiktet, dessen Abnahme daher eine Verletzung der Sittsamkeit. Epiktet Diatr. I 16,9. Die Natur hat so Weib und Mann unterschieden. I 17, 10; III 1, 28. Wie wichtig Epiktet den Bart nimmt siehe I 2, 29 (bis zum Todesurteil?). Dein Haar laß sein, wie es Gott und die Natur gewollt hat. III 1, 26. Vgl. auch IV 8, 12 u. 15.


B) Rom

Auch in Italien setzt sich um 300 v.Chr. die Bartlosigkeit durch, obwohl die tägliche Rasur die Ausnahme bleibt (bezeugt für Scipio oder Augustus). Seit dem 3. Jh. ist Bartlosigkeit so allgemein, daß die Weihung des ersten abgeschnittenen Barthaares als Eintritt ins Mannesalter galt. Umgekehrt aber läßt man sich zum Zeichen der Trauer den Bart lang wachsen, was auch Angeklagte und Verurteilte taten. Bartlosigkeit bleibt mindestens bei den Vornehmen bis ins 2. Jh. n.Chr. Mode.
Der kleine Pauly, Stuttgart 1964-75, Artikel “Bart”.

Der Bart war im alten Rom verpönt, selbst der Stoiker Seneca verzichtet auf ihn:
Seneca empfiehlt Anpassung und das Meiden von Provokation etwa durch einen Bart s. Ep. 5 (Seneca Ep. Phil. Schriften Meiner 1993, III, 10). - Nur die philosophischen Hunde, die Kyniker, trugen Bärte, vernachlässigten aber überhaupt jede Körperkultur.

Aber Epiktet lehnt diejenigen verwilderten Kyniker ab, die nur aufgrund von Mantel und Bart als Philosophen gelten wollen. III 22, 89. A. Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epiktet 1894, 34 u. 61.

Epiktet, Philosoph in Rom und Grieche von Geburt, wurde während der Regierungszeit des römische Tyrannen Domitian vor die Wahl gestellt, entweder seinen Bart abzurasieren oder geköpft zu werden. Er bekam 24 Stunden, um über die Sache nachzudenken. Doch er sagte: Ich brauche keine 24 Stunden. Ich rasier ihn  nicht ab. Sie sagten: Dann werden wir dich köpfen. Und er: Ihr tut, was ihr zu tun habt, und ich verfolge meine Aufgaben. Ich bin nur eine Schüssel aus Lehm mit ein wenig Blut darin, und eines Tages muss ich beides sowieso zurückgeben. Georg Wöhrle, Epiktet für Anfänger. Eine Lese-Einführung. München: dtv 2002, 24.

Erst Kaiser Hadrian, ein Philhellene, führt die Barttracht in die vornehme Gesellschaft Roms ein. Hadrians Philhellenismus dokumentiert sich in seinem Vollbart, den er nach Art der griechischen Philosophen trug.

Zur Haartracht des Philosophen s. Konrad Paul Liessmann, Der Philosoph im Bild. Vermutungen zu einer Abwesenheit, in: Bilder der Philosophie. Reflexionen über das Bildliche und die Phantasie. Hgg. von Richard Heinrich u. Helmuth Vetter, München 1991, 147-158, zu Hadrian149f., 147ff.

Unter Marc Aurel pflegten sich die Stoiker den Kopf glatt rasieren zu lassen. Pierre Hadot, Die innere Burg. Anleitung zu einer Lektüre Marc Aurels. Aus dem Französischen von Makoto Ozaki und Beate von der Osten. Frankfurt am Main: Eichborn  1996, 41.

Die Adoptivkaiser hatten, in Bewunderung für griechische Kultur, sich Bärte wachsen lassen. Konstantin, erster christlicher Kaiser, hatte mit der Bartmode seiner Vorgänger gebrochen, der heidnische Julian nahm sie wieder auf, wollte sich auch wohl von den unphilosophischen Vorgängern abheben. Klaus Rosen, Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser. Stuttgart 2006, 132, 220.

Nach Hadrian wird der Bart zweihundert Jahre lang getragen; nur Caracalla und Elagabalus entziehen sich dieser Mode. Konstantin der Große führt dann die Tracht der Bartlosigkeit wieder ein, die bis in byzantinische Zeiten herrschend bleibt. Nur Kaiser Julians Beispiel bricht hier noch einmal aus der Reihe!

Kaiser Julian mußte sich mit den stoischen Kritikern seiner Barttracht auseinandersetzen; zu seiner Empörung befanden ihn die Bewohner der Großstadt Antiochia als ungepflegt. Er setzte sich in einer eigenen Schrift mit dem Vorfall auseinander, getitelt ist dieser Aufsatz mit “Misopogon”, d.h. Barthasser.


C)
Römisch-katholische Priester rasierten sich, oströmisch-orthodoxe ließen sich wahre Matten stehen. Zur Zeit der Eroberung Englands durch die Normannen waren Vollbärte aus der Mode, die Streiter beider Seiten trugen statt dessen lange Schnurrbärte. Mit den Kreuzzügen kamen wieder Vollbärte in Mode. Daniel McNeill, Das Gesicht. Eine Kulturgeschichte, Wien: Kremayr & Scheriau 2001 (zuerst Boston, New York 1998), S. 105.

Hieronymus berichtet von Mönchen, deren Bärte denen von Ziegenböcken gleichen!
In karolingischer Zeit bestimmten Konzile die Haarmode von Klerikern und Mönchen. Die "Statuta antiqua Ecclesiae" (can. xliv) wies sie an, Haare und Bart zu scheren (d.h. wohl, so kurz wie möglich).

Nach seiner Bekehrung und der Rückkehr von seiner Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela (1264) war Ramon Lull bekleidet nur mit einem billigen Wollgewand und mit schon wachsendem Bart als Ausdruck der Trauer und Armut. Manfred Baumotte, Einleitung, in: Ramon Lull, Vom Freund und dem Geliebten. Die Kunst der Kontemplation, Zürich und Düsseldorf 1998, 7-28, 12.

Lorenzo de’ Medici, der Prächtige, “vermied jeden Anschein, mehr sein zu wollen als ein normaler Bürger und ließ sich sogar den Bart abnehmen, wie es in Florenz damals im Gegensatz zu den meisten anderen Höfen der Zeit Mode war”. James Cleugh, Die Medici. Macht und Glanz einer europäischen Familie, München 1984,  zit. bei Humbert Fink, Machiavelli. Eine Biographie, München: List 1988, S. 210.

Herzog Eberhard im Bart (Eberhard V.) starb 1496: “Nach dem Bärtigen die Barbarei”, orakelte Johannes Reuchlin; er floh daher nach aus Stuttgart nach Heidelberg! Hans-Rüdiger Schwab, Johannes Reuchlin. Deutschlands erster Humanist. Ein biographisches Lesebuch. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1998, S. 53.

Seinen Kritikern entgegnete Paracelsus: “... mein Bart hat mehr erfahren als alle eure Hohen Schulen”, Paracelsus, Sämtl. Werke VIII, 65; zit. bei Heinrich Schipperges, Paracelsus. Der Mensch im Licht der Natur, Stuttgart: Klett 1974, 29.

Bei seiner Hinrichtung soll Thomas Morus, den Kopf vom Richtblock noch einmal erhebend, um seinen Bart mit der Bemerkung beiseite schiebend: ... “der hat ja keinen Hochverrat begangen.” Hans Peter Heinrich, Thomas Morus mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1984, S. 136.

Verächtlich weist Giordano Bruno auf die bloße Äußerlichkeit der Barttracht für den Philosophen hin: “Jetzt möchte sich jeder nichtsnutzige Pedant, jeder lumpige Wortheld, jeder dumme Faun, jeder unwissende Esel, indem er sich mit einer Last von Büchern zeigt, sich den Bart lang wachsen läßt und allerlei Manieren annimmt, dafür ausgeben, als ob er zur Familie gehörte.”  G. Bruno, Von der Ursache. Übers. Lasson, S. 9

Brief von Pope an Swift: “Lachen Sie über meine Ernsthaftigkeit nicht, sondern erlauben Sie mir den philosophischen Bart so lange zu tragen, bis ich ihn selbst ausrupfe, und ein Gespött daraus mache.” Zit. in Hugh Barr Nisbet, Lessing. Eine Biographie, München: Beck 2008, 244.
Der Bart im 17. Jahrhundert war in Italien bei Klerikern ein Zeichen für Frömmigkeit. Peter Burke, Städtische Kultur in Italien zwischen Hochrennaisance und Barock, Berlin 1987, 133f.

Orthodoxe Juden im 17. und 18. Jh. trugen selbstverständlich einen Bart!

Kabbalistische Vorstellungen zum Barte Gottes, dessen Haare in mannigfaltige Klassen, deren jede etwas Eigentümliches hat, verteilt sind und worin jedes Haar eine besondere Ableitung der göttlichen Gnade ist. Salomon Maimons Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben, Berlin: Union 1988, S. 79, 234 Anm. 191.

Die Ecken des Haupt- und des Barthaares zu rasieren, war den Juden verboten; bes. in chassidischen Kreisen wurden sogar ausgefallene Barthaare aufgesammelt und entweder in ein heiliges Buch gelegt oder verbrannt, damit sich keine Dämonen daran festsetzen. In der zweiten Hälfte des 17. Jh. wurde es in Deutschland üblich, den Bart mit chemischen Hilfsmitteln zu beseitigen; daß Maimon seinen Bart rasiert, gilt also gewissermaßen als Freigeisterei. 234 Anm. 191. Ein Rabbi in Hamburg klagt über den rasierten Bart Maimons: "Ach! wie ist es möglich, daß Sie sich so verändert haben!" A.a.O.175.

Johann Jacob Moser war 1701 in Stuttgart geboren und schon mit neunzehn Jahren außerordentlicher Professor der Rechte in Tübingen. Aber die Zuhörer blieben aus. Er beschloß nun, sich den Titel Regierungsrat zu erbitten. Der Minister Baron Schütz gab ihm wenig Hoffnung dazu, da er zu jung sei und 'noch nicht einmal einen Bart' habe. Der zwanzigjährige Moser antwortete schnell: 'Exzellenz wüßten, daß, wenn es auf den Bart ankäme, der Bock der größte Philosoph wäre!' Er bekam den Titel!
Carl Eduard Vehse, Die Höfe zu Württemberg. Ausgewählt, bearbeitet und herausgegeben von Wolfgang Schneider, Leipzig und Weimar 1992, 104f.

Von der Mitte des siebzehnten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren Bärte in Europa nur selten zu sehen. Voltaire, Newton, Jefferson, Diderot, Washington - sie alle waren glattrasiert. Berühmte Ausnahmen bestätigen die Regel: der fanatische Prediger Johann Edelmann 1698-1767, der Berüchtigte, trug einen besonders langen Bart, ebenso der Maler Jean-Étienne Liotard oder der Pirat Blackbeard (ca.1680 - 1718)

Von dem sekundären Geschlechtsmerkmal Bartwuchs sagt Arthur Schopenhauer, er werde wegen seiner offenkundigen sexuellen Konnotation von Frauen gerne betrachtet... Das ist aber auch schon das einzige Positive, was er über den Bart zu sagen hatte. Schopenhauer war ein regelrechter Barthasser, ein neuzeitlicher Misopogon.

Der damals gerade modisch werdende Bart war ihm widerwärtig, er assoziierte Rohheit und Barbarei mit den Bartträgern. Es war aber wohl auch eine politische Dimension im Spiel, denn die barttragenden Intellektuellen vertraten zumeist politisch einen Liberalismus oder sogar sozialistische Ideen.

Das Abscheren der Bärte habe immer für Menschlichkeit und für das Hinansetzen des tierischen Geschlechtsunterschiedes gestanden, meint Schopenhauer. Die Bartlänge habe stets mit der Barbarei Schritt bgehalten. Im Mittelalter florierten die Bärte, es war eben auch ein Millenium der Rohheit und Unwissenheit. Angemessen ist er dem Menschen im Naturzustand, im zivilisierten Zustand ist es die Rasur: Sie zeigt an, daß die thierische und rohe Gewalt der Ordnung und Gesittung hat weichen müssen. Der Bart vergrößert nur den tierischen Teil des Gesichts, gibt ein brutales Aussehen.
Der Bart ist keine Zierde, nur bei Juden, Kosaken, Kapuzinern, Gefangenen und Straßenräubern sind wir seiner gewöhnt. Als leblose Masse im Gesicht nimmt er die Hälfte des Gesichts ein und verbirgt die menschliche Physiognomie, nämlich das Moralische daran. Rasur ist Symbol höherer Zivilisation: Die Polizei sei befugt, Bärte zu verbieten, weil sie halbe Masken sind.
Arthur Schopenhauer, Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Bd. VII,
Parerga und Paralipomena I, S. 195f. und Fußnote.

In manchen Berufsstellungen war um 1840 das Tragen von Bart oder Schnurrbart allerdings untersagt; den Forstleuten war der Bart gestattet, auch den Studenten. Carl Vogt, Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rückblicke, Stuttgart 1896, S. 60f.

Als Bernard Bolzano 1805 zum Professor der Religionswissenschaft an der Karls-Universität in Prag ernannt wurde, da war der dreiundzwanzigjährige unbärtig; das hielt der 50-Jährige Bolzano in seinem Selbstbericht für erwähnenswert. Wolfgang Künne, Versuche über Bolzano - Essays on Bolzano, Sankt Augustin: Academia 2008, S. 50.

Spätestens in den 1840er Jahren beginnen materialistische Denker wie Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Friedrich Engels, Jakob Moleschott, Carl Vogt, Ludwig Büchner Bart zu tragen, manche anfangs nur schüchtern einen gefälligen jungmännischen Schnurrbart, dann bald aber doch den kompromißlosen Vollbart, der sie auch äußerlich von ihren idealistischen Gegnern unterscheiden sollte.

Feuerbach trug als junger Mann solch einen smarten Schnurrbart; Arnold Ruge trug früh schon einen Schnauzer und blieb auch dabei! David Friedrich Strauß blieb immer glattrasiert. Was ist mit Stirner? Trug er Bart? Wir wissen es leider nicht.

Allerdings trugen auch Neukantianer wie Friedrich Albert Lange, Hermann Cohen und Karl von Prantl bald schon Bart und auch Vollbart, zumal solche, die selbst unter einem Lehrverbot zu leiden hatten; aber nun - im 3. Drittel des Jahrhunderts - wird der Bart langsam geradezu obligatorisch für den Gelehrten!

Schon als Präsident (also noch vor der Kaiserzeit) herrscht Louis Napoleon diktatorisch in Frankreich; so werden 1852 die Hochschulprofessoren aufgefordert, der Behörde eine Inhaltsangabe ihrer Vorlesungen vorzulegen. Gleichzeitig verbietet man ihnen, einen Vollbart zu tragen, der so zum Symbol des Aufruhrs wird. Octave Aubry, Das zweite Kaiserreich, Leipzig 1938, S. 109.

Eine Vielzahl jener Gelehrter, die als junge Männer begeistert waren von den Ideen von 1848, wurden später im Geiste preußisch, jedenfalls bismarckisch, der Bart aber blieb. Und dann wurde man auch noch großdeutsch...

Otto Liebmann, bedeutender Neukantianer, Jahrgang 1840, fast schon ein Kind der Bismarckzeit, sah als junger Professor aus wie ein schneidiger Burschenschaftler, mit Schnauzer und kurzem, exakt gescheiteltem Haar, Treischkeverehrer, strammer Franzosen- und Britenhasser, und ähnelte einem preußischen Leutnant oder dem deutschen Ingenieur beim türkischen Eisenbahnbau mehr als einem Philosophen. Klaus Christian Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993, S. 215f.

Das späte 19. Jahrhundert war eine Zeit der Bärte, kein Gelehrter ohne Kinnbehaarung. Zu “Zeiten unserer Großväter war erst derjenige ein rechter Mann, würdiger Professor oder gar Geheimrat, der einen voluminösen Balbo vor sich hertrug”! (Lerch) Genauer gesagt war es die 2. Hälfte des Jahrhunderts, daß der Rauschebart zum Markenzeichen auch der Gelehrten wurde, zum Kennzeichen des distinguierten, ja auch erfolgreichen Mannes. Z.B. Charles S. Peirce trug seit seinem 30. Lebensjahr Bart.
Joseph Brent, Charles Sanders Peirce. A Life, Indiana University Press 1993, 13.

Schon weil Vogt einen Bart trug, was im Vormärz als eine politische Herausforderung galt, erweckte für ihn Sympathien bei der an revolutionären Traditionen reichen Studentenschaft seiner Heimatstadt Gießen. Dieter Wittich, Hg. und Einleitung, Vogt, Moleschott, Büchner. Schriften zum kleinbürgerlichen Materialismus in Deutschland, Berlin: Akademie-Verlag 1971, Erster Bd. S. XVII


Als in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sich eine wenig Zeit und Pflege erfordernde Haarmode allmählich durchsetzte, wurde auch der Bart erneut modern, der in der Biedermeierzeit als Zeichen der Opposition galt und sich in der Mode zunächst nur als schmaler Backenbart, als kleiner Moustache und Kinnfliege durchzusetzen vermochte.

 

Mitte der 1860er Jahre war der Bart absolut erforderliches Männlichkeitsattribut; so trugen die philologischen Mitstudenten Nietzsches, obwohl vielleicht kaum über 20 Jahre alt, fast alle Bärte. C.P. Janz, Friedrich Nietzsche, Bd. I, 1978, S. 208. Der wilde  Schnurrbart Nietzsches, der den Mund völlig verhängte, stammt erst aus seiner Wahnsinnszeit nach 1889.

Im 19. Jahrhundert betrachteten Ärzte einen Bart als Markenzeichen des erfahrenen Arztes; man sagte, daß ein Doktor ohne Bart keine Patienten fände.  Terry Landau, Von Angesicht zu Angesicht. Was Gesichter verraten und was sie verbergen. Spektrum-Verlag 1993, 116; allgemein zur Geschichte des Bartes s. 113-116.

 

Golo Mann begann 1929 seine Studienzeit in Heidelberg. Der erste Eindruck von dem damals sechsundsechzigjährigen Geheimrat Heinrich Rickert, in dessen Haus und Seminaren er gelegentlich Gast war, lautet: "Vollbart des Gelehrten aus dem 19. Jahrhundert,

matte Augen hinter der Brille, alt".  G. Mann, Erinnerungen und Gedanken. Eine Jugend in Deutschland. Frankfurt: Fischer 1986, 281.

 

Der Mann des 20. Jahrhunderts rasiert sich! Zwar findet der elegante Schnurrbart in allen möglichen Formen auch im 20. Jahrhundert noch breiten Zuspruch. Doch allgemein herrscht, auch unter Philosophen wie Professoren, das Gebot der asketischen Bartlosigkeit! Doch schon in den Zeiten der studentischen Rebellion kehrt der Bart, oft sogar als Vollbart, an die Universitäten zurück.