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Die Philosophie von René Descartes

 

Berühmt ist Rene Descartes für sein “Ich denke, also bin ich”, der wohl bekannteste Satz der Philosophiegeschichte überhaupt. Auch seine metaphysische Einteilung der Welt in denkende Dinge und ausgedehnte Dinge, lat. res cogitans und res extensa, ist weithin bekannt. Aber was für eine Philosophie vertrat Descartes eigentlich?

 

Descartes gilt philosophisch als Rationalist. Der Rationalismus als philosophische Geistessströmung ist als Gegensatz, aber auch in Ergänzung zum Empirismus zu sehen. Es ist gar nicht so leicht augenfällig zu erklären, worin überhaupt die Unterschiede zwischen Empirismus und Rationalismus bestehen, denn die Rationalisten - also Descartes oder Leibniz - leugnen nicht etwa die Bedeutung der Erfahrung, und die Empiristen - wie Locke oder Hume - bemühen in ihren philosophischen Verfahren natürlich auch die Vernunft. Empiristen wie Rationalisten suchen in durchaus skeptischer Absicht eine Sicherung und Begründung der Erkenntnis, beide suchen nach einer Fundierung, nach einer soliden Grundlage unseres Denkens. Diese Grundlage sehen die Empiristen in der Erfahrung, während die Vernunft nur als Werkzeug verstanden wird. Aber auch der Empirist verfährt rational. Der Rationalist leugnet nicht die Notwendigkeit, empirisch zu forschen, aber der Verstand ist für ihn die primäre Prüfstelle: Sichere Grundaussagen erhofft sich der Rationalist allein von der Vernunft.

 

Der zentrale Streitpunkt betrifft die Herkunft des Wissens, also die Frage: Wie sind wir zu einem bestimmten Wissenssatz, zu einer bestimmten Erkenntnis gelangt? Die Rationalisten meinen nun, daß die Vernunft die ausschlaggebende Prüfstelle für alle Erkenntnisse ist, weil es bestimmte Ideen und Vorstellungen gebe, die angeboren seien. Die Empiristen leugnen dagegen vehement jedes Angeborensein von Ideen und glauben, daß alles Wissen dem Intellekt durch Erfahrung vermittelt werde.

 

Die Frage danach, was den Menschen determiniert, ist nach wie vor aktuell; nur heute wird dieses Problem in dem Gegensatz von angeborenem Gen und sozialer Umgebung polarisiert und die Angeborenheit bestimmter Eigenschaften steht zumal in einer Zeit, da eine vollständige Erforschung des menschlichen Genoms für möglich gehalten wird, wieder in hohem Kurs.

 

Aber zurück zu Descartes. Es gibt keinen Denker, der von anderen Philosophen so sehr verteufelt wurde, wie René Descartes: Er ist der Prügelknabe der Philosophiegeschichte.  Vor allem wird ihm immer wieder vorgehalten, daß er Leib und Seele des Menschen auseinanderdividiert habe und daß die strikte Trennung von Geist und Körper als Ursache für zahlreiche Defizite der modernen Zivilisation angesehen werden müsse.

 

In der Einleitung zu seinem neuübersetzten Werk über “Die Prinzipien der Philosophie” wird er in unverhohlener Verachtung als “genialer Stümper in der Physik” bezeichnet. Meiner 2005, Einleitung von Christian Wohlers, LXVI. Schon Leibniz hatte bissig bemerkt, daß Descartes doch nirgendwo zu gesicherten Erkenntnissen gekommen sei.

 

Eine gerechte Beurteilung seines Lebenswerkes darf seine zahlreichen Verdienste in den Wissenschaften nicht übersehen. Er war nicht nur Philosoph, er war auch Naturwissenschaftler, Mathematiker, Anatom und Psychologe. Als Physiker war er beteiligt an der Formulierung des Lichtbrechungsgesetzes, als Anatom trug er zur Erforschung des Blutkreislaufes bei. Descartes war es, der die Koordinatengeometrie mit Abszissen- und Ordinatenwerten einführte; seit Descartes werden unbekannten Größen in Gleichungen mit x, y und z,   bekannte mit a, b und c wiedergegeben; wir verdanken ihm die Standardnotation für die 3. sowie höhere Potenzen, usw. Aber in der Tat die meisten seiner Einzelannahmen in der Physik sind falsch, Harveys Lehre vom Blutkreislauf hat er verfälscht und seine Psychologie ist erschreckend mechanistisch.

 

Aber selbst mit seinen falschen und verfehlten Auffassungen hat er oftmals positiv und schöpferisch gewirkt, weil er naturwissenschaftlich zu fragen begann. So stammt der erste theoretische Ansatz der Embryologie von Descartes, natürlich falsch, aber er bahnte eben erste Wege.

 

Bekannt geworden und geblieben ist er aber als Metaphysiker. Seine Philosophie hat vor allem das Ziel, die Grundlage für eine Wissenschaft zu schaffen, die jedes Naturphänomen als ein mechanisches versteht und auffaßt; dabei sind auch menschliche Empfindungen und Affekte eingeschlossen, die ebenfalls ganz mechanistisch erklärt werden sollen. Er ist der Vorreiter eines Denkens, das überall Ursachen und Wirkungen von der Art von Druck und Stoß aufzufinden sich bemüht. Jede andere Erklärungsweise für die Naturuntersuchung lehnte er ab. Die Welt derart als eine Maschine anzusehen, in der alles Geschehen streng kausal verstanden wird, teilt Descartes mit vielen Zeitgenossen Galileo Galilei oder Thomas Hobbes und anderen.

 

Das entschiedene mechanistische Denken legt es nahe, in Descartes auch den eigentlichen Vater des Atheismus zu entdecken, obwohl in seiner Philosophie Gott eine bedeutende Rolle spielt. Descartes selbst hat sich zeit seines Lebens zur katholischen Kirche bekannt, hat eifrig an ihren Riten teilgenommen, wo immer er konnte. Aber sein religiöses Leben, soweit es bekannt ist, wirkt im Zusammenhang mit seiner Philosophie als bloße Geste und vielleicht steckt dahinter eine Maßnahme der Vorsicht, um mögliche Repressionen zu vermeiden. Er wird daher der Philosoph mit der Maske genannt; seine tatsächlichen Einstellungen zum Christentum und zur katholischen Kirche sind umstritten.

 

 

Ein Wort noch zur Gelehrsamkeit des 17. Jahrhunderts. Descartes war niemals Lehrer oder Professor an einer Universität, sehr wohl aber einige seiner Schüler, er selbst jedoch nie. Hier bildet Descartes keinen Einzelfall, viele herausragende Köpfe der Zeit hielten sich eher fern von den Universitäten, wo zumeist noch die scholastische Philosophie gelehrt wurde. Weder Spinoza noch Leibniz noch John Locke lehrten als Professoren je an einer Universität; berühmt ist das Beispiel Spinozas, der den lukrativen Ruf an die Universität Heidelberg ablehnte, um seine geistige Unabhängigkeit zu bewahren.

 

Das Ideal der Zeit ist der völlig unabhängig privatisierende Gelehrte. Diese sich - zumindest bezüglich ihres Fachgebietes - wie souveräne Staaten gebärdenden Geistesgrößen kommunizierten über ganz Europa hinweg; man schickte sich gegenseitig Briefe, die man reisenden Freunden, Kaufleuten oder Vertrauenspersonen mitgab. Bücher waren noch selten und teuer, so schrieb man direkt einander, stellte Fragen, erläuterte die eigene Forschungsarbeit usf.

 

Diese Gelehrtengemeinschaft und ihr Kommunikationsnetz, das von Madrid bis Krakau, ab 1700 bis Petersburg, von Edinburgh bis Belgrad reichte, wird "Gelehrtenrepublik" genannt, eine Republik, in der alle Meinungen gleich berechtigt sein sollten. Wer sich mit dieser Zeit und ihrer Philosophie näher beschäftigen will, kommt nicht darum herum, Briefe zu lesen; hier finden sich wichtige Kommentare, schmucklose und klare Erläuterungen zu problematischen Stellen, die in den Publikationen eher unverständlich bleiben.

 

Und Descartes, der sein ganzes Leben um seine Unabhängigkeit und sein Ansehen bemüht war, fühlte sich natürlich als Bürger dieser Gelehrtenrepublik, und zwar als ein besonders ausgezeichneter Bürger.