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Baruch de Spinoza

 

Zunächst möchte ich einige Erläuterungen zu den historischen Hintergründen geben. Ich beginne mit dem Jahr 1492. Dieses Jahr hat in dreifacher Hinsicht eine herausragende Bedeutung für Spanien und die Weltgeschichte. Es ist das Jahr der Entdeckung Amerikas und es bezeichnet den erfolgreichen Abschluß der Reconquista mit der Eroberung Granadas. Und schließlich ist es auch das Jahr, in dem die spanischen Majestäten Isabella und Ferdinand jegliche Toleranz gegenüber den Nicht-Christen kündigten: Alle noch in Spanien verbliebene Anhänger Mohammeds und vor allem die zahlreichen Juden, die eigentlich gemeint waren mit dem Erlaß, sollten entweder das Land verlassen oder zum Christentum übertreten.

 

Viele Juden traten dem Schein nach zum Christentum über, blieben heimlich aber der Religion ihrer Vorfahren treu und wurden deshalb häufig Opfer der Inquisition. Andere konvertierten und wurden tatsächlich zu überzeugten Christen, doch ihre Nachkommen wurden dennoch als Nachkommen von Juden diffamiert.

 

Wieder andere, vermutlich über hunderttausend Menschen, verließen Haus und Hof, der größte Teil emigrierte nach Portugal, wo zunächst das Judentum toleriert wurde. Doch als 1580 Portugal unter die Regierungsgewalt der spanischen Könige geriet, da begann die Inquisition gegen die dortigen Juden vorzugehen, auch hier drohten Zwangstaufen und die Emigration wurde zum letzten Mittel, um die jüdische Identität zu retten.

 

Der Vater Spinozas scheint noch in Portugal geboren zu sein, kam aber um 1600 schon als Kind nach Amsterdam. Neben Amsterdam gewährten noch andere Städte nicht uneigennützig den Juden Asyl und freie Religionsausübung und zwar Livorno und Venedig in Italien und Altona bei Hamburg. Diejenigen Juden, die überhaupt in der Lage waren, die iberische Halbinsel zu verlassen, waren eher vermögend und es handelte sich oft um geschickte Kaufleute, beides versprach den Stadtkassen neue Einkünfte.

 

Die Vereinigten Provinzen der Nördlichen Niederlande, die sich in heftigen Kämpfen seit 1568 die Unabhängigkeit von Spanien ertrotzt hatten, erlebten im 17. Jahrhundert einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. 1602 wurde die Ostindische Kompagnie, die den Handel mit Afrika, Indien, den Sunda-Inseln und Japan organisierte, gegründet, 1621 die Westindische Kompagnie mit den beiden Amerikas als Herkunft der Handelsobjekte.

 

Holländische Kolonien oder zumindest Handelsposten gab es auf allen Kontinenten, bei der Eroberung und Etablierung der Kolonien wurde allerdings nicht mit jenen liberalen Maßstäben verfahren, die die Heimat in Europa zum Ausnahmeland machten. Auf den Molukken etwa, besonders wichtig für den Gewürz- und Nelkenhandel, wurde die kriegerische Urbevölkerung gnadenlos ausgerottet und das Land stattdessen mit arbeitswilligen Menschen aus anderen Teilen des Kolonialgebietes besiedelt.

 

Die größte Bank Europas war in Amsterdam ansäßig; die später so berühmte Bank von England in London hatte ihr Gründungsjahr erst 1694. Mitte des 17. Jahrhunderts verfügte Holland über die bedeutendste Seeflotte Europas; es besaß mehr Schiffe als England und Frankreich zusammen. Das 17. Jahrhundert wird auch als das Goldene Zeitalter der niederländischen Malerei bezeichnet. Es ist die Epoche so bedeutender holländischer Maler wie Frans Hals, Rembrandt, Jacob Ruisdael und Vermeer. Weitgehend zensurlos verlegten Buchdrucker in Holland all das, was in anderen Ländern Europas nicht publiziert werden konnte.

 

Trotzdem verlief dieses Zeitalter in den Vereinigten Niederlanden nicht ohne innere politische und religiöse Kämpfe. Dieser Staat verstand sich als eine Föderation von sieben Provinzen, wobei Holland als die vermögendste und stärkste Provinz den sog. Ratspensionär stellte, das Oberhaupt der Generalstände, die in Den Haag tagten. Wegen der herausragenden Bedeutung unter den Provinzen wurde die Bezeichnung Holland auch zum Synonym für die Niederlande überhaupt.

 

Dem Ratspensionär als dem republikanischen Führer stand der sog. Statthalter als Zivil- und Militärgouverneur des gesamten Landes gegenüber, der monarchistische Rechte für sich beanspruchte. Die Statthalterschaft wurde traditionell von der Familie von Oranien-Nassau beansprucht, die ihre Vorrechte ableitete von dem ersten Führer im Unabhängigkeitskrieg gegen die Spanier, Wilhelm von Oranien.

 

Dieser doppelten Führung des Landes entsprachen zwei Parteiungen, die das Land auch religiös spalteten, die Republikaner und die Monarchisten, wobei die radikalen Calvinisten die Oranier unterstützten, die gemäßigten Calvinisten die Republikaner.

 

1653 wurde Johan de Witt Ratspensionär, der mit seiner Politik die republikanische Linie im Lande durchsetzen konnte und eine eher demokratische Regierung praktizierte - gemessen an den politischen Verhältnissen der Zeit. Jan de Witt war schlechthin die Symbolfigur der Liberalen. Nach 29jähriger Regierungszeit wurde de Witt 1672 von Anhängern der Oranier ermordet, ein Ereignis, das Spinoza wie ein böser Alptraum erschien.

 

Spinoza war kein stubenhockerischer Eigenbrötler, vor allem seine politischen Schriften sind im konkreten Bezug zu den Verhältnissen der Zeit entstanden. Und auch seine Hauptschrift, die Ethica, ist keineswegs eine rein theoretisches Machwerk aus dem Elfenbeinturm. Sein Werk heißt nicht nur Ethik, es ist auch eine Ethik: Es geht um ein Programm der Lebensführung, das den Menschen das höchste Maß irdischen Glücks erschließen soll. Im Gegensatz zu Descartes ist sein Anliegen nicht nur die korrekte wissenschaftliche Methode und der allgemeine Erkenntnisfortschritt, auch darauf versucht er Antworten zu finden, aber darüber hinaus fragt er nach den Bedingungen, unter denen menschliches Leben als gelungen verstanden werden darf.

 

Die entscheidende Einsicht, die seine ganze Philosophie trägt und zumindest damals von revolutionärem Charakter war, betrifft sein Gottesverständnis. Spinoza leugnet den persönlichen Gott, und er leugnet das Jenseits, d.h. es gibt weder Himmel noch Hölle, weder Strafe noch Belohnung. Sein unpersönlicher Gott ist eine Substanz, die beständig Dinge hervorbringt. Alle vermenschlichenden Aspekte, die der Gottheit allgemein zugesprochen werden, leugnet Spinoza. Sein Gott denkt nicht (er hat gar keinen Verstand), er will nicht (er hat keinen Willen), er liebt und haßt nicht, ist nicht gnädig, ist auch nicht ungnädig. Aus diesem veränderten Gottesverständnis versucht Spinoza mit äußerster rationaler Strenge alle notwendigen Konsequenzen zu ziehen, um ein gültiges Konzept einer vernünftigen Lebensgestaltung sowie einer gerechten Staatsordnung zu gewinnen.